In Thailand fuhren wir noch früh am Morgen durch die engen Straßen, gesäumt von zusammengepferchten Läden unter Wellblechdächern, die sich mit grellen Schildern zu unterbieten versuchten. Als wir ruckelnd die Enge der Stadt verließen und auf den Pier zusteuerten, erlaubte ich mir beim Anblick des weiten Meeres wieder einzuatmen.
Der Sand an den Stränden hier ist so weiß und pulvrig, dass man die einzelnen Körner nicht mehr erkennen kann. Wenn man durch das durchsichtige Wasser streift, stiebt er bei jedem Schritt auf, und tänzelt wild um sich herum. Das Meer ist wie aus Glas, klar und glatt und ruhig. Und egal, wohin ich meine Kamera halte, überall scheint man ein Stück Paradies einfangen zu können.
Aber an diesem Morgen herrschte Ebbe und der Himmel war bedeckt, sodass das Meer zurückgezogen und grau am Ende des Piers schlug. Plötzlich sah es aus wie an der Nordsee, die See, an der ich die Sommer meiner Kindheit verbracht habe, die mir so bekannt ist wie eine geliebte Verwandte, die man zweimal im Jahr besucht.
Bis zu diesem Zeitpunkt hatte ich in dem Glauben gelebt, das Paradies sei das, wonach es sich zu streben hatte, der ultimative und allgemeine Wunsch, den ein jeder Mensch in sich trägt. Alle anderen Meere, mit ihren kalten Strömungen, ihren hohen Wellen, ihren blassen Quallen und grauen Sandwürmern erschienen mir wie runzelige, schlecht gelaunte Witwen, die exotischen Gewässer wie eine junge, glitzernde Tänzerin mit weichen Lippen und langem Haar.
Doch an diesem Morgen, als das Licht und die Zeit und meine Müdigkeit mich einen Moment lang trügten und die Nordsee sehen ließen, überkam mich eine Liebe, von der ich nicht wusste, dass ich sie immer in mir getragen hatte. Die stoische, wilde See, die nicht auf Bewunderung aus ist, die keinen Deut Eitelkeit besitzt, die brüllt und schlägt und dich selbst an den wenigen warmen Tagen im Jahr nur widerwillig begrüßt, war mir ein Leben lang die weiseste Ratgeberin, während das thailändische Meer bloß eine kurzweilige Geliebte war. Die Nordsee versteht mich. Sie redet mit mir, und sie hat viel zu sagen. Sie will nicht beschönigen, denn sie ist schön, in all ihrer Unberechenbarkeit und Kälte. Und selbst nach den stürmischen Tagen, wenn ich verfroren in meiner Regenjacke den Nachhauseweg antrete, verlässt sie mich nie ohne die wärmende Umarmung, die mich schützt, bis ich das nächste Mal zu ihr gezogen werde.
Dieser Text ist vor ungefähr einem Jahr entstanden, als ich das große Glück hatte, für einige Monate reisen zu können. Seitdem ist er mir immer wieder in den Sinn gekommen, und er hat für mich eine neue Bedeutungsebene gewonnen. Es geht hier nicht nur um eine persönliche Momenterkenntnis, sondern um eine Illusion, mit der ich sicherlich nicht alleine bin: der Illusion, dass das gute Leben nur einen Flug und einen Shopping Trip entfernt ist.
Das gute Leben ist das, was uns die Anderen auf Instagram vorzuführen scheinen – farblich perfekt abgestimmte Quadrate, mit lachenden, braungebrannten Menschen in knappen Bikinis, die in Yogaposen Frühstücksbowls balancieren und jeden Morgen um fünf Uhr aufstehen, um den Sonnenaufgang ablichten zu können, oder auch ineinander verschlungene Paare, die ungezwungen messy in ihren Campervan am Strand aufwachen und trotz der ganzen Spontaneität und Wildheit immer perfekt ausgeleuchtete Shots raushauen können, oder auch jede andere Travelästhetik, an der sich die „Influencer“ orientieren. Wären wir doch nur an diesen Orten, trügen wir doch nur diese Klamotten, hätten wir doch nur diese ganzen glitzernden Dinge, dann könnten wir auch das gute Leben leben, dann wären wir endlich glücklich.
Ich will die Menschen, die so mit Instagram ihr Geld verdienen, hier nicht in Grund und Boden kritisieren. Viel mehr geht es mir darum, unseren Umgang mit dieser neuen Form von Träume-Verkaufen zu hinterfragen. Was macht das mit uns? Und worum geht es eigentlich?
Letztes Jahr, als ich das erste Mal an einem thailändischen Strand stand, war mein erster Gedanke: wow, ich stehe mitten in einem Instagram-Post. Und obwohl dieser Teil der Welt unbestreitbar schön ist und mir sehr gut gefallen hat, stellte sich nicht das Lebensgefühl ein, welches wir auf Instagram nachzufühlen glauben. Ich wurde nicht plötzlich zu einem dieser strahlenden, schönen, glücklichen Übermenschen. Ich war immer noch genau dieselbe wie zu Hause, nur an einem anderen Ort. Die Band „the neighborhood“ hat es früher verstanden als ich, als sie schrieben: I’m happy cause of me, doesn’t matter where I’m livin.
Es ist leicht, voller Neid auf die sogenannten Influencer zu schauen, und sich ihr Leben zu wünschen, denn genau dieses Gefühl auszulösen ist ihr Job. Aber ein Ort, ein Kleiderschrank, ein Körper und ein Lifestyle sind nicht das, was wirkliches Glück beschert, wenn es nicht zu einem gehört. Wir sind alle unterschiedlich, und während die Instagram Ästhetik nur ein paar verschiedene Lebensmodelle porträtiert und idealisiert, haben wir alle unsere ganz eigenen, individuellen Dinge, die uns glücklich machen. Für mich ist es zum Beispiel die Nordsee – natürlich kann ich einen Thailand Urlaub genießen, aber wirklich wohl und glücklich fühle ich mich im Norden, dort, wo man mit Sicherheit kein einziges shootendes Bikinimodel vorfindet. Keine Ansammlung materieller Dinge und auch keine krampfhafte Suche nach dem perfekt belichteten Leben an dem perfekt belichteten Ort füllt einen aus.
Das Problem sind also nicht die, die den Traum des guten Leben schaffen, sondern wir, die darin verloren gehen, und den Blick für das verlieren, was wir bereits haben. Was ist eure Nordsee? Werdet euch darüber bewusst, wie bedeutsam sie für euch ist, egal wie sie sich vor einer Kamera macht, und dann lasst sie euch von keinem Traum der Welt wegnehmen.